Das Medienjahr 2010 ist beinahe zu Ende. Dabei bot es eine Vielzahl kurioser Geschichten, die selbst das Scripted-Reality-TV nicht besser hätte schreiben können. Ein unrepräsentativer und äußerst unvollständiger Jahresrückblick, von Freiheitsberaubung hin zu gescheiterten Trash-Offensiven.

Aus Mediensicht war 2010 ein spannendes Jahr: Das iPad ließ Hoffnungen der Verlage keimen. Die deutsche Alternative, WePad oder WeTab, wie es seit 7. Mai heißt, hatte Anlaufschwierigkeiten. Bis Richard Gutjahr aufdeckte, dass Firmenchef Helmut Hoffer von Anckershoffen selbst der größte Fan seines Produkts ist. Mit Flattr startete ein Bezahlmodell für Online-Content und das Supertalent holte Traumquoten für RTL. Eine deutsche Sporttageszeitung sollte ihren Platz im Presseregal einnehmen – praktisch unbemerkt von Kioskbetreibern und der Öffentlichkeit.

15. März: Endlich eine tägliche Sport-Zeitung für Deutschland

Der „Sport-Tag“, mit dem Verleger Michael Hahn eine Marktlücke schließen wollte, legte am 15. März laut Medien-Experten einen Fehlstart hin. Das Zeitungsprojekt mit großen ausländischen Vorbildern wie Gazzetta dello Sport, Marca oder L’Equipe hatte auch knapp zwei Monate später keine Fahrt aufgenommen. Schnell wurde die Erscheinungsfrequenz des Mediums von täglich auf wöchentlich gedrosselt, damit wurde jedoch die Überlegenheit der Konkurrenz deutlicher: Denn Der Sport-Tag lag nun am selben Tag wie der Kicker am Kiosk. Letztendlich bewogen die „katastrophalen Abverkäufe, die umgerechnet sogar unter denen der täglichen Ausgaben lagen“ die SIM Verlagsgesellschaft am 10. Mai zur Einstellung des Projektes. Dabei hatte sie in ersten Ausgaben noch Verstärkung gesucht. Auch Redakteure – einzige Einstellungsvoraussetzung: „Was Sie bisher über Sport geschrieben haben wurde auch veröffentlicht“.

10. Juni: Alle aus dem Weg – Jauch kommt!

Wie die ARD am 10. Juni mitteilte, moderiert Günther Jauch ab Herbst 2011 im Ersten. Das bisherige RTL-Aushängeschild bleibt seiner Show „Wer wird Millionär?“ zwar treu, verabschiedet sich aber von Stern TV. Im Ersten bekommt er dafür den Sendeplatz von Anne Will am Sonntag. Unschön: Anne Will erfuhr davon im Urlaub – aus den Medien. Aufgrund der Zeitverschiebung hätte sie der NDR-Intendant nicht erreichen können. Doch nicht nur sie erhält einen neuen Sendeplatz. Auch Frank Plasberg und Reinhold Beckmann müssen mit neuen Sendeterminen Vorlieb nehmen. Die Runfunkräte des MDR, des BR und des WDR kritisierten die Entscheidungen der ARD, fünf Talk-Runden pro Woche seien zu viel. Zumindest einen dürfte die ARD nach dem Hin und Her nicht vergrault haben: Günther Jauch, für den nun ein gemachtes Nest beim Öffentlich-Rechtlichen steht.

19. August: RTL II macht „fun“

RTL II gab das Scheitern seiner neuesten Trash-Offensive bekannt. Der Sender hatte versucht, die von Big Brother hinterlassene Programmlücke mit gleich drei neuen Formaten zu füllen: „Tattoo Attack – Promis stechen zu“, „Abenteuer Afrika – Deutsche Teenies beißen sich durch“ und „Das Tier in mir“ versprachen ohnehin alles andere als Authentizität. Tatsächlich mussten sich übergewichtige Jugendliche in Afrika durchkämpfen und schlüpften B- und C-Promis in die Rolle von Tieren. Das war zu viel – für Zuschauer und Medienjournalisten. Sowohl Quote wie auch Kritik fiel verheerend aus. Der Ausgangspunkt für ein Umdenken im Privatsender? Jedenfalls verabschiedete sich das Medienunternehmen prompt von seiner Unterhaltungschefin und gelobte in einer Pressemitteilung Besserung. Doch Gut Ding will Weile haben. Denn obwohl RTL II dem zuvor präsentierten Menschenzoo – in Maßen – abgeschworen hat, bleibt der Sender mit „X-Diaries“ dem Genre der Pseudo-Doku treu. Einzelne Folgen der ebenfalls im August gestarteten Soap wurden derweil von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen beanstandet. Aber das sollte mit Humor genommen werden. Wie sagt der Sender-Claim so schön? „It’s fun.“

14. Oktober: „Freiheitsberaubung“ bei den Öffentlich-Rechtlichen

Nach einem Bericht des Online-Portals der WAZ mussten die Live-Zuschauer bei der Produktion der ZDF-Show „Rette die Million!“ sieben Stunden ausharren. Grund dafür war, dass sich neben den 350 Gästen auch ein siebenstelliger Geldbetrag im Raum befand. Um die Vorgaben der Versicherung zu erfüllen, habe sich die Aufnahmedauer mit langen Wartezeiten ausgedehnt, so eine Sprecherin der Produktionsfirma. „Wir bekamen nicht ein Wasser zu trinken, wir durften nicht zur Toilette gehen“, erinnerte sich die Besucherin Doris Helbig. Nach fünfeinhalb Stunden hätte es ein Zuschauer-Block gewagt, die Aufzeichnungen zu verlassen. „Danach haben die Mitarbeiter der Produktionsfirma Endemol regelrecht gebettelt, dass der Rest im Studio bleibt.“ Wahrscheinlich ein echtes Novum 2010: Wann haben Fernseh-Mitarbeiter zuvor bei der Ausübung ihrer Arbeit betteln müssen? Auch nach dem Ende der Show hatten die Zuschauer sitzen zu bleiben – schließlich musste das Geld nachgezählt werden. Ob die Fernseh-Leute auch dafür bettelnd durch die Zuschauer-Reihen ziehen mussten ist nicht überliefert. Von diesen Zwischenfällen bemerkte der Fernsehzuschauer bei der ausgestrahlten Sendung natürlich nichts. Trotzdem entschuldigte sich das ZDF für die Unannehmlichkeiten. Die Gäste hatten schließlich zwölf Euro Eintritt bezahlt. Wobei das pro Stunde nur zwei Euro macht – ein prima Preis-Leistungs-Verhältnis, oder?

18. Oktober: Konstantins dunkles Geheimnis aufgedeckt

In einem Blogeintrag des Medienjournalisten Stefan Niggemeier wurde Verlegersohn Konstantin Neven DuMont verdächtigt, unter verschiedenen Synonymen hunderte Kommentare in dessen Weblog verfasst zu haben. Was damals niemand ahnte: Die Geschichte hat sich Dank der Interviewbereitschaft DuMonts bis heute gehalten. So schaffte es die Entdeckung Niggemeiers von dessen Blog in die Bild, den Spiegel und den Focus. Am 9. Dezember wurde bekannt, dass Konstantin Neven DuMont nach seiner Funktion als Herausgeber verschiedener Print-Titel auch den Vorstandsposten bei M. DuMont Schauberg verloren hat. Doch das brachte die teils äußerst abstrusen Verwicklungen nicht zu einem Ende. Der öffentlich geführte Familienzwist wird wohl im nächsten Jahr fortgesetzt. Auch plant DuMont eine Website für Medienkritik und eine Karriere als Moderator. Was daraus geworden ist, findet sich zu gegebener Zeit auf medienMITTWEIDA – im Jahresrückblick 2011.

Ein Jahresrückblick von Marcel Fröbe. Der Artikel erschien am 23. Dezember 2010 auf medienMITTWEIDA.

Die Axel Springer AG möchte iPad-Nutzer für die digitale Bild zur Kasse bitten. Für das Tablet erschien Anfang Dezember eine kostenpflichtige App, gleichzeitig wurde die Website des Boulevard-Blatts für iPad-Zugriffe gesperrt. Eine Glosse.

Schwer muss das Leben als Bild-Zeitung sein. Nach einem Tag schon wird das Printprodukt beiseite gelegt, alt und unansehnlich ist es dann. Bestenfalls, denn womöglich wird Fisch in die Zeitung gewickelt. Ohnehin, so richtig mag niemand die Bild-Zeitung: Verleugnet, „Nein – ich lese so was doch nicht.“ Ein fader Beigeschmack, wenn keiner zugibt, einen gern zu haben.

Doch dafür hat der Axel Springer-Verlag eine Lösung: Die digitale Bild soll ihre wahren Freunde finden. Doch was sind denn Zeitung’s echte Freunde in der Internetepoche? Es sind die, die für Inhalte auch online im Kleingeldbeutel kramen. Die Umsetzung – ganz simpel. Man programmiere eine iPad-App und verriegele im Gegenzug die eigene Webseite für iPads. Einmal umrühren, fertig. Nun werden die Menschen in Strömen die App laden, um 79 Cent pro Ausgabe zu zahlen und damit 19 Cent mehr als für ein gedrucktes Exemplar. Jede Menge Leute zum Spielen, fein, mag sich die Bild denken.

Wann hatte der Nutzer zuletzt so viel Spaß?
Oder: Echte Freunde zum Versteckspiel

Das Boulevard-Blatt hat sogar schon einige Spiele vorbereitet. So muss die zahlende Kundschaft beispielsweise virtuellen Sand von einem Artikel fegen, um diesen lesen zu können. Doch wird das die Kumpanen wahrscheinlich nur so lange bei Laune halten, wie die Sandkästen der Republik überfroren sind. Ob im Sommer dann Schnee von den Texten geschaufelt werden muss, ist noch unklar.

Abseits dessen zeigt die schöne, neue iPad-Welt bereits hässliche schwarze Löcher. Durch diese lässt sich die Tablet-Sperre umgehen. Zu allem Übel dürfte das dem zahlungsunwilligen, falschen Freund noch nicht einmal schwer fallen. Es reicht aus, mit einem anderen als dem vorinstallierten Browser bild.de aufzurufen. Schon strahlen den User wie eh und je plakativ-boulevardeske Storys entgegen. War der ganze Spaß also ernst gemeint? Oder vertreibt sich bild.de derweil die Zeit mit Verstecken spielen? Eine gute Frage, wahrscheinlich kennt nur der SMS-Guru die Antwort. Doch der hielt sich bedeckt – zugegebenermaßen wollte ich keine 1,99 Euro für eine ein- bis zweisätzige Antwort investieren. Das sind immerhin 2,518987 iPad-Bild.

Klar ist jedoch, dass sich die Axel Springer AG mit ihren Online-Strategien auf Erfolgskurs befindet. Schließlich sagt sie das oft genug. Auch die neuen Schritte setzt der Medienkonzern in die richtige Richtung. Durch die Sperrung der Bild-Seite für Apples Tablet vergrault der Verlag zwar einhundert Prozent seiner iPad-Nutzer. Doch so einfach ist die Rechnung dann doch nicht, denn die Bild kann jetzt kräftig sparen. Weniger Visits, geringere Anforderungen an die Server – von der Redaktion ganz zu Schweigen.

Dafür erscheint das Blatt digital bereits am Vorabend. Zum Glück haben sich die Macher nicht dazu entschlossen, die Zeitung von morgen schon zwei oder drei Tage früher online zu stellen. Denn dann wären sie ja auf das Terrain von Astro TV vorgestoßen. Eine ekelhafte Schlammschlacht hätte das gegeben. Oder Sandschlacht?

Von Marcel Fröbe. Der Artikel erschien am 16. Dezember 2010 auf medienMITTWEIDA.