Bloggerin Julia Probst hat als Stimme der Barrierefreiheit schon einiges verändert. „Das ist erst der Anfang“, hat die Gehörlose Marcel Fröbe via Twitter verraten.
Julia Probst hat mit ihrem Blog viele Menschen für ein Thema sensibilisiert, dass ohne sie vermutlich nie auf die Agenda von Politik oder TV-Sendern gekommen wäre: Barrierefreiheit. Sowohl in den Medien, als auch in der Gesellschaft zeigt sie immer wieder Versäumnisse im Umgang mit behinderten Mitmenschen auf. Es ist ein wichtiges Thema, ist sich Probst sicher – und mit ihrer Hartnäckigkeit hat sie auch schon einiges erreicht. 2011 war dabei vermutlich ihr Jahr: Der Twitter-Chef zählte sie im amerikanischen Fernsehen als einzige Deutsche zu den zehn wichtigsten Usern seines Dienstes, die 30-Jährige wurde Bloggerin des Jahres. Marcel Fröbe hat die Frau, die wahrscheinlich unter ihrem Twitter-Alias @EinAugenschmaus bekannter ist als unter ihrem realen Namen, interviewt. Auf Twitter natürlich.
Zuerst mal herzliches Beileid, dein Laptop hat ja plötzlich den Geist aufgegeben. War das ein Schock für dich?
Ich brauch den schon sehr. *hmpf* Ich wollte sowieso ein MacBook kaufen… Aber ich dachte, er lebt noch bis Juli.
Sag mir Bescheid, wenn das Interview begonnen hat.
Hat es schon! Ich stelle ja auch gern provokante Fragen, dafür muss ich jetzt einen Tweet lang ausholen…
… Mittlerweile hast du den Spieß umgedreht und der @RegSprecher scheint dir fast schon die Wünsche von den Lippen abzulesen. Muss man da nicht größenwahnsinnig werden?
So schnell heb ich da nicht ab. Ich denke, dass der @RegSprecher und ich uns schätzen und auch Respekt voreinander haben. Manchmal springt mir die Regierung aber nicht so, wie ich es für notwendig halte, aber dafür kann Herr Seibert auch nichts. Aber immerhin bewegt sich die Regierung in Sachen Barrierefreiheit!
Definitiv. Hättest du mit so viel Erfolg, so viel Resonanz, gerechnet?
Nein, ehrlich gesagt. Ich wollte nur etwas Aufklärungsarbeit betreiben und damit ein Umdenken in Gang setzten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Umdenken ohne große Umwege auf dieser höchsten Ebene in Gang setzen kann – mit meinen simplen Aktivitäten.
Wann ist dir bewusst geworden, dass sich in der Behindertenpolitik etwas ändern muss?
Eigentlich schon als Teenager. Ich war eigentlich zu lange untätig, weil mir klar war, dass die besten Argumente ohne das passende Werkzeug nichts nützen. Und dann hatte ja ein gewisser Jack Dorsey die Idee zu Twitter…
Musstest du dich am Anfang überwinden? Schließlich gehört schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein dazu, so engagiert und offensiv für ein Thema einzutreten.
Etwas Überwindung kostete es mich auch am Anfang: Ich musste mich erst mal mit mir auseinander setzten, was meine Fähigkeit, nicht hören zu können, eigentlich mit meinem Leben macht. Und mit dem anderer Gehörloser. Ich habe mich nie im Leben ausschließlich darüber definiert, gehörlos zu sein. Ich bin nicht mein Defizit, ich bin einfach nicht meine Behinderung. Gehörlose Menschen werden am stärksten behindert im Leben. Menschen mit Behinderungen sind nicht behindert, sondern werden behindert. Hier in Deutschland ist es massiv so. Und wenn einem ein Thema am Herzen liegt, dann tritt man auch selbstbewusst dafür ein.
Mittlerweile hast du viele Menschen auf eure Alltagsprobleme aufmerksam machen können – und trotzdem musst du immer wieder ganz grundlegende Sachverhalte erklären. Wird man dessen nicht irgendwann müde?
Doch, manchmal nervt es mich schon. Ich fühle mich dann ans Mutterdasein erinnert, wo man sich zur Beruhigung das Mantra „Das ist nur eine Phase“ vormurmelt. Meines ist dann aber: „Sie können nichts für ihre Unwissenheit…“ *murmel* Demnächst möchte ich mein Blog aber so umbauen, dass alles klar ersichtlich ist, so dass ich nur noch verlinken muss.
Was würdest du ohne Twitter machen?
Wahrscheinlich hätte ich mich irgendwann für den Playboy im Namen der Barrierefreiheit ausgezogen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Mein Blog würde ohne Twitter nicht so gut laufen, beides zusammen ist eine wundervolle Symbiose.
Jetzt muss ich natürlich fragen… Würdest du dich trotzdem für den Playboy fotografieren lassen – auch wenn es Twitter gibt?
Wenn die mir ein Angebot machen würden und ich das totale Mitspracherecht habe, warum nicht? Außerdem würde ich mich ja nicht für den Playboy ausziehen, sondern für Barrierefreiheit. Aber das mit dem Playboy ist ja auch eher ein Gedankenspiel.
Okay, zurück zum Thema. Du bekritelst oft, das bei öffentlich-rechtlichen Sendern die Untertitel verbesserungswürdig sind. Warum nicht auch mal bei RTL?
RTL hat Sonntags bei Blockbustern Untertitel, VOX am Donnerstag. Die Untertitel dort sind von der Qualität sehr schwankend. Natürlich sind die auch kritikwürdig, die Privaten finanzieren die aber selbst.
Was mich aber in erster Linie stört: Ab 2013 sollen Blinde, Gehörlose und Schwerhörige 6 Euro GEZ zahlen und so die Inklusion aus eigener Tasche zahlen. Bei gerade mal 14,6 Prozent Untertitelquote und bei der arg fragwürdigen Qualität ist das nicht gerecht.
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer sollten sich schämen, dass sie damals beim 15. Rundfunkstaatsvertrag dem Wegfall der Befreiung der GEZ zugestimmt haben. Das ZDF hat zum Beispiel 30 Millionen Euro für das neue Nachrichtenstudio ausgegeben oder etwas über 50 Millionen Euro für die Champions League. Die ARD lässt für Übertragung von Boxkämpfen 54 Millionen springen. Das Geld ist bei den öffentlich-rechtlichen längst vorhanden. Sie sind nur nicht dazu bindend verpflichtet, das Geld in Barrierefreiheit zu investieren.
Würdest du also sagen: Die öffentlich-rechtlichen Sender sind „geldgeil“?
Ich würde sagen: Sie haben keine Ahnung, dass ein barrierefreies Angebot in höchster Qualität eine langfristige Investition in die eigene Zukunft und damit auch in den Ruf ist.
Du wolltest schon immer mal in eine Talkshow. Sind die Redaktionen zu feige, dich dann tatsächlich einzuladen?
Ja, vermutlich ist das tatsächlich der Fall. Verdenken kann ich es ihnen nicht, dass ihnen der Mut dazu fehlt, wenn schon der Mut zu 100 Prozent Barrierefreiheit fehlt. Ich bin da eine unbequeme Stechfliege, die sie nicht mehr so leicht wie früher abschütteln und damit ignorieren können. Das ist erst der Anfang, ich hab ja den Fuß erst rechts in der Tür!
Das heißt, du hörst auch nicht auf, bei den Redaktionen nachzufragen?
So wie ich das zum Beispiel auf Twitter mache oder live auf der re:publica, ja. Kommt denn auch mal die Frage, welchen Promi ich gerne treffen wollen würde?
Mir fällt da spontan eine Frage ein… Welchen Promi würdest du denn gern mal treffen wollen?
Barack Obama. Ich hatte ja schon das Vergnügen mit vielen deutschen Politikern sprechen zu können, auch kurz mit Frau Merkel. Und Jack Dorsey und Katie Jacobs Stanton traf ich ja schon. Mir fehlt in meiner Liste echt nur noch Obama.
Und was deutsche Politiker angeht: Ich will sie nicht treffen, sondern eher mitnehmen in eine Parallelwelt von der sie keine Ahnung haben.
Wie reagieren die eigentlich – geben Politiker und Medienvertreter offen zu, dass sie keine Ahnung vom Thema haben?
Ja. Und entschuldigen sich auch und geloben Besserung. Aber da passiert eben kaum etwas, weil sie den Atem der Behinderten nicht heiß genug im Nacken spüren.
Das klingt ja fast wie ein leiser Vorwurf an die Behinderten selbst. Engagiert sich der Großteil der Gehörlosen zu wenig für die eigenen Rechte?
Ich kann ihnen da so richtig keine Vorwürfe machen und es ist auch nicht ihre Schuld, wenn man weiß, dass die Gehörlosen und ihre Muttersprache bis in die 90er Jahre unterdrückt wurden. Den größten Teil des Vorwurfs müsste man eindeutig der deutschen Behindertenpolitik machen. Es gehören halt immer zwei dazu.
Was möchtest du persönlich noch erreichen?
Ich möchte ganz sicher erreichen, dass Deutschland den erschreckend schwachen eigenen nationalen Aktionsplan so weit überarbeitet, dass er die UN-Behindertenrechtskonvention deutlich erfüllt. Und nicht wie es jetzt der Fall ist, weit darunter liegt. Und vielleicht 2013 im Bundestag sitzen und den heißen Atem spielen. Obwohl ich wahrscheinlich die Quotenbehinderte wäre. Mir hat aber eine sehr liebe Politikerin gesagt, dass mir das an meiner Stelle egal sein müsste. Nun, jetzt habe ich zumindest die Möglichkeit und ich weiß selber noch nicht so genau, ob ich mit meiner Hartnäckigkeit, Direktheit und Ehrlichkeit etwas für den Politikbetrieb wäre. Schauen wir mal, wie ich mich entscheide.
Vielen Dank für das Interview. Und einen langen Atem!
Das Interview führte Marcel Fröbe. Es erschien am 24. Mai 2012 auf medienMITTWEIDA.